E-DUR alltäglich

Fast zwei Jahre läuft inzwischen die Klanginstallation ALLTÄGLICH des Klangkünstlers Falk Zenker. Fünfhundert Tage war die Kirche zu Isseroda offen und lud ein zur Unterbrechung, zur Passivität und zum Hören.
Die Stimme, die berührt, kommt nicht durch den erhobene Zeigefinger, sie kommt auch nicht aus einem ‚Lautgewitter’. In der Bibel wird sie einmal „die Stimme eines verschwebenden Schweigens“ genannt. Resonanzraum der Installation ist die kleine Dorfkirche in Isseroda. Zu DDR-Zeiten von der Kirchgemeinde - in alltäglicher Demütigung zermürbt - aufgegeben, erinnert sie an das spirituelle Lebenszentrum der Menschen des Dorfes und wirkt wie eine Baustelle, die für neues offen ist.
Nur selten und von manchen gar nicht wird die Kirche aufgesucht. Brauchen Menschen heilige Orte? Wo hat Spiritualität im Alltag seinen Ort? Um der Frage auf die Spur zu kommen, hatten Konfirmanden mit einem Mikrofon über ein Jahr Klänge des Alltags in Isseroda aufgenom¬men: Stimmen der Menschen in unterschiedlichsten alltäglichen Situationen, bei ihrer Arbeit, bei ihren sozialen Kontakten, in ihrer Ein- und Gemeinsamkeit, Geräusche der Natur und der Arbeit. Der Klangkünstler Falk Zenker bearbeitete diese Geräusche und gestaltete daraus eine Klanginstallation, die diesem Raum eine akustische Orientierung gibt. Dabei mischen sich die Klänge aus den Lautsprechern mit den Geräuschen, die durch die großen Fenster eindringen.

Am Mittwoch 29. Juni, 17:30 Uhr, werden Falk Zenker und Pfarrer Christian Dietrich die Installation ALLTÄGLICH und das Projekt offene Kulturkirche vorstellen. Das geschieht musikalisch, poetisch und kommunikativ.   Der Eintritt ist frei. 
Öffnungszeiten: Mo. +  Mi. + Fr.  + Sa. + So.  11:00 - 18:00 Uhr


REIZVOLL – SCHARMANT – WÜRZIG – VERHEISSUNGSVOLL – LIEBENSWÜRDIG  – BEGEHRENSWERT CHARMANT – ENTZÜCKEND – EINNEHMEND – APART – BEZAUBERND – ANMUTIG – INTERESSANT BEFREIEND – DELIZIÖS – PACKEND – ANMUTIG  – APPETITANREGEND – EROTISCH  – ERBAULICH BEWEGEND – GEPFLEGT – ORIGINELL – STILVOLL – KULTIVIERT  – ÄSTHETISCH  –  FASZINIEREND

                                             für Bärbel Boley (1984)

Das Gedicht in seiner näheren Ferne aus Schweigen

Das GEDICHT ... befand sich in einer kaum konzentrierten
Ferne, die ich frei verspürte als ich unter der Erde
im Krankenhauskanal an einer dampfexplodierten Leitung aus
Glas zusammen mit Angel kniete und das Rohr erneuerte
und dabei: mal er mal ich -, durch das Gitter über unseren
Köpfen hinaus in den Geräuschepark der graufeinen Hohltaube
nach täuschte, die irgendwo nah bei uns war und mit der wir
vielleicht in einem Gespräch verbunden waren. Es schien

aber auch, daß die Taube uns gar nicht meinte und ihren
Ruf von dem wir nicht behaupteten daß er für uns wirklich
Antwort war lässig fern von uns wählte; daß freilich das
gesuchte GESPRÄCH mit ihr zu sowas wie zur Schuld wuchs
als unsere Hände Verbindungsschrauben anzogen und Gummi­
dichtungen und Manschetten richteten und der kondensierte
Dampf schließlich wieder zu fließen begann und wir nun
unausweichlich an ferne Märchen von munteren BÄCHLEIN

unsere Sinne vergaßen. Und: tatsächlich als ich gerade
weiter rückwärts ein Verbindungsstück nachzog, das zu
tropfen begonnen hatte als wir das Wasser stauten -: da
sang Angel ein Lied in seiner Sprache im Kanal, daß wahr­
haftig sofort Gesang war und (still! . . ., daß er sich auch
ebenso in Zukunft vollende, von der es nur heißt daß in ihr
lediglich die Seele der Lieder zerfallen werde.). „Gukni
mi gukni gugutke / lele i as sum taka ,gukala', / koga sum

bula pri mama . . .“, sang die Stimme des Liedes durch Angel
daß seine gesungenen Wörter sich als lächelnde Gegenwart
ins Plötzliche unseres Kanals mit der geborstenen Leitung
drängten; wo Glaswolle und Scherben, Kalkschlamm und eine
wasserdunkle Lache um unsere Füße waren. Und aus dem Park
der Geräusche durchs Gitter von oben kam nun das Flirren
der vermutlich weiblichen Taube: ihr Gesang mit den Flügeln
den wir nicht zu täuschen verstanden. Und Angel übersetzte

in unsere alltägliche Sprache . . ., daß in dem Lied gesungen
sei, man sei so glücklich wie die Tauben gewesen (und natür­
lich zeigte er zum Gitter über die Schulter eine Linie
nach oben ... ), als man bei der Mutter gewesen war.
Und dann bewegte er ins Vage seine fingergespreizten Hände: daß also
in dieser Übersetzung eigentlich gar nichts von dem Lied
zu retten sei. Später . . ., gingen wir noch tiefer in die Keller,
um einen Kondensableiter einer kalten Heizung im Krankensaal

der Station Neun bei den Frauen die nun in ihren Betten
über uns waren, zu öffnen . . ., und da lebte da GEDICHT in seiner
näheren Ferne aus Schweigen das freilich aus stilistischen
Gründen bald zu brechen war. Zuvor sannen wir etwas über die
Frauen im Saal, denen wir begegneten als wir die kalte Heizung
suchten. Da füllte sich der Raum dieser Begegnung stumm: mit
ihren wehenden Gesprächen, die über ihre Betten an unsere
Begabung gerichtet waren; daß die Krankheit der Frauen zur

Stimme dieses liegenden Volks geworden war, aus dem ein
entsetztes Weinen wanderte, bis es von einer fast beiläufigen
Bemerkung einer am Tisch Sitzenden getroffen war, die etwas
nähte und sich auch zu einem Husten hinter sich wandte, der
offensichtlich Schmerzen bereitete. Es war Mittag und es gab
Möhrensuppe . . . in der eine Alte mit den Löffel so thematisch
sondierte, daß dies nur als eine philosophische Betrachtung
des Essens in der Nähe des Todes zu erkennen möglich war.

Auf dem Teller befand sich eine fein gerichtete Wirklichkeit
die der leis geführte Löffel berührte, daß wir gern in ihre
milden Spannungen geflohen wären . . ., weil das GEDICHT jetzt
allein war. So kam es, daß wir plump versprachen die Heizung
rasch wieder in Gang zu bringen und wünschten mit nicht über­
zeugenden Stimmen Gute Besserung als wir mit dem Hut in der
Hand zur Saaltür hinausgingen. Und, im Keller erkundigte ich
mich bei Angel, der wirklich neben mir durch das Neonlicht

des niedrigen Kellers sich beugte,: ob das Lied ein Chanson
oder ein Volkslied gewesen sei; und er antwortete mir, während
ich nun mit der Rohrzange den Stauer öffnete, etwas Undeut­
liches von einem .Märchen« . . ., als das rostige Wasser aus dem
Stauer sprudelte und ich die Madenschraube für das Bimetall
verstellte; so daß das GEDICHT in seiner gewohnten Ferne war.

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